Bericht zum 16. Archivtag

Pirna – die „Stadt zur Sächsischen Schweiz“ und der Landkreis Sächsische Schweiz waren Gastgeber für den 16. Sächsischen Archivtag, der vom 23. bis 25. Mai 2008 gleichzeitig als 3. Sächsisch-böhmisches Archivarstreffen stattfand. Der Vorsitzende des sächsischen Landesverbandes im Verband der deutschen Archivarinnen und Archivare, Raymond Plache, konnte unter den 120 Tagungsteilnehmern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Archiven und Verwaltungen Sachsens, Baden-Württembergs, Bayerns sowie zehn Gäste aus Böhmen begrüßen. Der Einführung schlossen sich die Grußworte des Sachsischen Innenministeriums (Abteilungsleiter Dietrich Gökelmann), des Sächsischen Staatsarchivs (Dr. Rainer Jürgen Wolf), des Landkreises Sächsisches Schweiz (in Vertretung Herr Schleicher), der Stadt Pirna (Oberbürgermeister Markus Ulbig) und des Tschechischen Archivarsverbandes (Frau Dr. Maria Ryantova) an.

Im Hinblick auf die zum 1. August 2008 in Sachsen in Kraft tretende Veränderung der Kreisgrenzen und der Kommunalisierung von Verwaltungsaufgaben stand die Tagung unter dem Thema „Ordnung für die Zukunft - Folgen von Funktional- und Gebietsreformen auf die archivische Überlieferungsbildung“.

Im Einführungsvortrag umriss Dirk Dreßler (Sächsisches Staatsministerium des Innern) die Eckpunkte der Verwaltungsreform, deren Ursache in Sachsen im demografischen Wandel mit sinkenden Bevölkerungszahlen und geringeren Einnahmen liegt. Schwerpunkte der Funktionalreform sind die Übertagung von Aufgaben besonderer Staatsbehörden und der bisherigen Regierungspräsidien auf die kommunale Ebene einschließlich der interkommunalen Aufgabenverlagerung. Außerdem reduziert sich durch die Kreisgebietsreform die Anzahl der Landkreise von 22 auf 10 und die Anzahl der kreisfreien Städte von 7 auf 3.

Neben dem Personal- und Technikübergang und der Zahlung eines Mehrbelastungsausgleiches werden die künftigen Landkreise und kreisfreien Städte insbesondere mit der Aufbewahrung von Behördenschriftgut konfrontiert, das noch in Zuständigkeit der bisherigen Verwaltungen entstand. Die Aussonderung und Abgabe dieser Unterlagen stellt für die Behörden, aber auch für das Sächsische Staatsarchiv und die Archive der Kreise und kreisfreien Städte eine erhebliche zusätzliche Belastung dar. Hier bedarf es auf der Ebene der Kommunal- und Staatsarchive eines kooperativen Miteinanders, um die künftige Bestandsbildung nach dem Provenienzprinzip zu gewährleisten.

Deshalb stellte Herr Dr. Jürgen Rainer Wolf (Sächsisches Staatsarchiv) die Anwendung des Provenienzprinzips als Ariadnefaden im Labyrinth der Überlieferung in den Mittelpunkt seines Beitrages. Er hob das Primat des Provenienzprinzips als fachliche Grundlage der Beständebildung hervor und grenzte dieses gegenüber den erweiterten Recherchemöglichkeiten mittels Archivportalen im Internet ab. Um dem Verfassungsauftrag der Archive gerecht werden zu können, müssen Herkunft und Überlieferungsbildung der verwahrten Unterlagen transparent sein. Im Hintergrund steht allerdings immer die Frage, wie sich die Benutzer ohne Kenntnis der Behörden- und Bestandsstrukturen im Datenlabyrinth orientieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Begriffe Registratur, Altregistratur und Archiv vor allem durch den IT-Einsatz nicht mehr eindeutig voneinander abgegrenzt und sowohl von Außenstehenden als auch von Behördenmitarbeitern und Archivaren im Sprachgebrauch kaum unterschieden werden. Deshalb sollten sich die Archivare mit der Frage auseinandersetzen, ob die Strukturierung des archivischen Gedächtnisses nach Provenienzen die Dienstleistung ist, die sich die Öffentlichkeit erhofft. Das Berufsfeld des Archivars mit seinen speziellen Fachaufgaben erfordert die intensive Begleitung aller gesellschaftlichen Umwälzungen und Veränderungen.

Die im Reformprozess geforderte aktive Rolle des Archivars betonte Frau Steffi Rathe (Kreisarchiv Aue-Schwarzenberg) in ihrem Erfahrungsbericht zur Neustrukturierung des künftigen Erzgebirgskreises, der aus bisher fünf selbstständigen Kreisen bestehen wird. Durch die kollegiale und konstruktive Zusammenarbeit der Kreisarchive gelang es, die archivfachliche Situation aller Kreisarchive zu erfassen, zu analysieren und Strategien für die künftige strukturelle Einbindung im neuen Landkreis, den Ausbau interner Dienstleistungs- und Anleitungsfunktionen, die Erarbeitung neuer rechtlicher Regelungen und die Nutzung der Archivbestände vor Ort zu entwickeln und im Zuge der Neustrukturierung der Kreisverwaltung

In der anschließenden Diskussion wurden v.a. Fragen der Bewertung und Übernahme von Unterlagen aus den Bereichen der Landesbehörden, die in kommunale Trägerschaft übergehen, angesprochen. Beratungsbedarf wurde auch hinsichtlich der Umsetzung des Personenstandsrechtsreformgesetzes ab 2009 signalisiert.

Die Entwicklung des tschechischen Archivwesens von 1918 bis zum Erlass des Archivgesetzes im Jahr 2004 einschließlich der daraus resultierenden Beständebildung erläuterte Martin Mysicka (Kreisarchiv Most) anhand verschiedener Übersichten. Anders als in Deutschland weist das tschechische Archivwesen eine starke Zentralisierung mit den staatlichen Archiven (Nationalarchiv, Kreis- (Staats-) und (Staats-)Bezirksarchiven auf. Nur nach entsprechender Antragstellung und der Prüfung der fachlichen und personellen Voraussetzung wird staatlicherseits die Genehmigung zur Unterhaltung von kommunalen Archiven in Ausnahmefällen erteilt.

Dass die Provenienzbestimmung als Schlüssel zur Territorialkirchenkirchegeschichte unabdingbar ist, zeigte Dr. Carlies Raddatz (Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche Sachsens) anhand der Entwicklung der Körperschaften der sächsischen Landeskirche. Auch in diesem Bereich der Landeskirche ergeben sich erhebliche strukturelle Veränderungen durch die Verringerung der Zahl der Kirchgemeinden und Kirchenbezirke. Die Überlieferung aus den Kirchgemeinden umfasst meist mehrere Provenienzen, wie zum Beispiel kirchliche Vereine mit wichtigen Quellen für das Leben innerhalb der Gemeinde. Deshalb wurde seitens des Landeskirchenarchivs in den letzten Jahren verstärkt darauf gedrungen, die Provenienzen aller verwahrten Unterlagen eindeutig zu ermitteln und auszuweisen.

Fragen der Zuständigkeit, Bestandsbildung und –abgrenzung stehen angesichts der Veränderungen in der Wirtschaftslandschaft Sachsens nach 1990 auch im Mittelpunkt der Arbeit des regionalen Wirtschaftsarchivs. Veronique Töpel (Sächsisches Wirtschaftsarchiv e.V.) stellte die Entwicklung und das Profil des 1993 durch die Industrie- und Handelskammern Chemnitz, Dresden und Leipzig gegründeten und des als eingetragener Verein geführten Archivs, die Erfahrungen bei der archivischen Überlieferungsbildung sowie die Formen der Zusammenarbeit in Sachsen vor.

In seinem Schlusswort reflektierte Raymond Plache den Archivtag als wichtigen sparten- und länderübergreifenden Erfahrungsaustausch und forderte die Archivarinnen und Archivare auf, den Prozess der Verwaltungsreform wirksam zu begleiten. Die aktive Teilnahme am Veränderungsprozess und die fachliche Vorbereitung der Archivare für die eigenen Verwaltungen sind eine Chance für Veränderungen und langfristige Lösungen.

In der aktuellen Stunde informierte der Landesverband über die Schwerpunkte der Arbeit und erstattet den Kassenbericht. Der 17. Sächsische Archivtag wird im Mai 2009 in der Bergstadt Freiberg stattfinden und sich dem Archivbau widmen. 2009 ist auch der Vorstand des Landesverbandes neu zu wählen.

Die Stadt Pirna und der Landkreis Pirna hatten gemeinsam mit dem Vorstand des Landesverbandes ein vielseitiges Rahmenprogramm organisiert. Dazu gehörte die Besichtigung des nach dem Hochwasser von 2002 noch nicht wieder den Anforderungen entsprechend untergebrachten Stadtarchivs Pirna, eine Stadtführung sowie eine Einführung in die Pirnaer Geschichte unter architekturhistorischer Sicht. In der Herderhalle, einer kombinierten Sport- und Kultureinrichtung, fanden nicht nur die Archivtagsteilnehmer entsprechende Serviceangebote für den Tagungsverlauf, sondern auch die zahlreichen Archivanbieter genügend Stellfläche für die Präsentation bewährter und neuer Produkte zur Bestandserhaltung und technischen Unterstützung der Erschließung und Nutzbarmachung der Archivalien. Besonderen Anklang fand am zweiten Abend das gemeinsame Abendessen, welches Thomas Carl mit seiner Begleiterin mit liebevoll musikalisch verpackten Impressionen aus seiner Heimatstadt Pirna umrahmte.

Am Sonntagvormittag erschloss sich den Archivtagsteilnehmern die Nutzungsgeschichte des weiträumigen Geländes der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein, in der die Nationalsozialisten in den Jahren 1940 und 1941 im Rahmen der "Euthanasie"- Aktion "T 4" etwa 15.000 vorwiegend psychisch kranke und geistig behinderten Menschen ermordeten. Nach der Kreisreform 2008 wird der Sonnenstein zum Sitz der neuen Kreisverwaltung Sächsische Schweiz/Osterzgebirge ausgebaut. In diesem Zusammenhang wird auch das neue Kreisarchiv entsprechende Räume erhalten.

Die Herausgabe des Tagungsbandes für den 16. Sächsischen Archivtag in Pirna mit den vollständigen Grußworten und Textbeiträgen ist für 2009 geplant