62. Thüringischer Archivtag 2015 am 18. und 19. Mai 2015 in Eisenach
Tagungsbericht von Jens Riederer
Bedingt durch die Umwandlung des selbständigen Thüringer Archivarverbandes in den Landesverband Thüringen im VdA fand erst nach zweijähriger Pause am 18. und 19. Mai d.J. wieder ein Thüringischer Archivtag statt, der 62. seiner Art in dieser traditionsreichen Reihe. Das gewählte Thema „Elektronische Archivierung – Problemstellungen und Lösungsansätze für die nahe Zukunft“ war so anspruchsvoll wie überfällig, weil es den archivischen Berufsalltag unaufhaltsam prägt und in absehbarer Zeit wohl vollends beherrschen wird.
Zum Auftakt beehrte uns Frau Dr. Babette Winter, Staatssekretärin für Kultur und Europa in der Thüringer Staatskanzlei, mit einem sehr persönlichen Grußwort, gefolgt von unserer Verbandsvorsitzenden Frau Dr. Irmgard Christa Becker, die als Leiterin der Archivschule Marburg sich mit dem Tagungsthema natürlich bestens vertraut zeigte.
Björn Schmalz vom Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt (Standort Wernigerode) stellte die Ergebnisse seiner Marburger Transferarbeit „Zum Stand der Langzeitarchivierung in Thüringer Kommunalarchiven“ vor, um den Anwesenden noch einmal die Ausgangslage vor Augen zu führen. Er konstatierte zwar Bereitschaft seitens vieler Archivarinnen und Archivare, zugleich aber fehle es vielerorts an den für eine Umsetzung finanziellen, technischen, personellen und auch fachlichen Voraussetzungen (vgl. auch „Archive in Thüringen“ 2013). In diesem Rückstand spiegelt sich gewiss das Besondere der thüringischen Archivlandschaft wieder, die zu einem Großteil aus kleinen und kleinsten Archiven besteht. Doch darf dieses unstreitige Handicap nicht länger als Entschuldigung dienen. Hier sind bei aller Kassennot die kommunalen Archivträger gefordert, die nötigen Bedingungen zu schaffen, um vom technischen Fortschritt nicht völlig abgehängt zu werden. Auch die kommunalen Spitzenverbände, der Thüringer Gemeinde- und Städtetag sowie der Thüringischer Landkreistag, sind aufgerufen - gemäß der begrenzten Möglichkeiten ihrer überwiegend kleinen Mitglieder -, nach gemeinsamen Lösungen im Verbund zu suchen.
Für die Behörden des Freistaats versteht sich ein gemeinsames Vorgehen von selbst. Seit 2012 existiert am Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar eine Projektgruppe, die eine einheitliche Lösung für die Landesverwaltung kreiert. Das bereits weit fortgeschrittene Projekt „Digitales Magazin des Freistaates Thüringen“ stellte der dortige Abteilungsleiter Jörg Filthaut vor. Das gemeinsam mit dem Thüringer Landesrechnungszentrum zu betreibende „Thüringische Elektronische Magazin“ (ThELMA) umfasst die Übernahme, Verwaltung, Erhaltung, Speicherung und Benutzung für alle Arten von Daten (Elektronische Akten, Dateisammlungen, Daten aus Fachanwendungen und Netzressourcen). Sein Anspruch ist also, den gesamten Archivierungsprozess inklusive Benutzung abzudecken, den die Archivare aus der analogen Welt kennen. Herr Filthaut stellte das Fach-Organisationskonzept von ThELMA vor, erklärte seine Gesamtarchitektur und erläuterte den Zusammenhang von Übernahmepakte (SIP), Archivpaket (AIP) und Nutzungspaket (DIP). Gemäß gängigen Standards folgt ThELMA dem für eine digitale Archivierung etablierten OAIS-Referenzmodell (ISO-Standard 14721:2012 - Open Archival Information Systems), das Funktionen und Prozesse für eine revisionssichere Archivierung beschreibt. Ein flexibel und modular aufgebautes System soll Bedienfreundlichkeit und Zukunftsfähigkeit garantieren. Die Übernahme in den Dauerbetrieb ist für 2016 geplant.
Eine bereits bestehende Lösung, die für kleine und mittegroße Archive entwickelt worden ist, stellte Herr Dr. Peter Worm vom LWL-Archivamt für Westfalen aus Münster vor. Das vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe initiierte Archivierungssystem eLan.LWL läuft bereits seit 2013 und steht den Mitgliedskommunen zur Nachnutzung zur Verfügung. Auch wenn sich die kommunalen Verhältnisse im kleinen Thüringen ganz anders darstellen als im großen Nordrhein-Westfalen, die erwiesene Praktikabilität dieser Verbundlösung sollte die Thüringer zum Nacheifern ermuntern.
Viele Kolleginnen und Kollegen sahen sich erstmals mit diesem auch sprachlich anspruchsvollen Thema direkt konfrontiert. Um die „Erstbegegnung“ unverkrampft und so praxisnah wie möglich zu vertiefen, schlossen sich in direkter Fortführung der in den Vorträgen angesprochenen Fragen vier parallele Workshops an. Gemäß der Verteilung der ca. 70 Tagungsanmeldungen beschäftigten sich zwei davon mit Elektronischen Akten, einer mit Daten aus Fachanwendungen sowie ein weiterer mit Dateisammlungen und Netzressourcen. Im ersten Teil aller Workshops, die sich über zwei Tage erstreckten, wurden Rechtsgrundlagen und Fachbegriffe vorgestellt, um auf dieser gemeinsamen Grundlage im zweiten Teil die besonderen Anforderungen der gewählten Themenkreise zu vertiefen. Pro Workshop stellten zwei Mitarbeiter aus den Thüringischen Staatsarchiven ihre fachliche Kompetenz als Leiter zur Verfügung, wofür ihnen hiermit herzlich gedankt sei, namentlich Herrn Filthaut und seiner erwähnten Projektgruppe am Hauptstaatsarchiv Weimar. Einen Workshop leiteten zwei sehr kompetente Kollegen vom Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden, denen unser besonderer Dank gebührt. Im anschließenden Plenum wurden die Schwerpunkte der einzelnen Workshops vorgestellt und gemeinsam sehr anregend diskutiert. Auch in einer anonymen Evaluation mittels Fragebogen zeigten sich fast alle Teilnehmer zufrieden mit den vermittelten Inhalten. Alle einte die Einsicht, dass es eine archivische Existenzfrage ist, die Elektronische Archivierung nicht über sich „ergehen zu lassen“, sondern aktiv mitzugestalten. Die auf dem Archivtag gewonnenen Grundkenntnisse sollen helfen, zusammen mit den eigenen IT-Fachleuten nach passenden Lösungen vor Ort zu suchen, allerdings – wie gesagt – nicht unbedingt jeder für sich allein, sondern am besten im Verbund mit ähnlichen oder benachbarten Einrichtungen.
Am zweiten Tag trafen sich die anwesenden Mitglieder des VdA zu ihrer Vollversammlung. Der Rechenschafts- und Finanzbericht des Vorstandes wurden einstimmig (bei Enthaltung des Vorstandes) angenommen. Danach öffnete sich die Versammlung für alle Teilnehmer des Archivtages, um den Gewinner des Thüringer Archivpreises bekanntzugeben, den die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen gemeinsam mit dem Landesverband Thüringen jährlich auslobt. Die mit 5.000 € dotierte Auszeichnung geht 2015 an das Thüringer Wirtschaftsarchiv e.V. (TWA) mit Sitz in Erfurt. Das TWA ist ein eigenständiger eingetragener gemeinnütziger Verein, der auf Initiative und mit finanzieller Unterstützung der Industrie- und Handelskammer Erfurt 2010 gegründet worden ist. Zum Gründerkreis gehörten überdies engagierte Archivarinnen und Archivare, die Sparkasse Mittelthüringen sowie eine Reihe Thüringer Firmen. In einem Tempo, das offenbar nur in der Privatwirtschaft möglich ist, entstand ein neues Archiv, mit dem sich Thüringens Wirtschaft eigeninitiativ und selbstverantwortlich zur Sicherung seiner Überlieferung verpflichtet. Mit ihrer Preisvergabe würdigt die Archivpreis-Jury einmal mehr bürgerschaftliches Engagement, namentlich auch das der Geschäftsführerin des TWA Frau Tamara Hawich, und betont den Wert nichtstaatlicher Archivalien jenseits behördlicher Überlieferungsbildung. Nach nur fünf Jahren seines Bestehens beherbergt das TWA in seinen Magazinen bereits Archivalien von über 60 Betrieben.
Überdies wartete der Geschäftsführer der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen Herr Dr. Thomas Wurzel mit einer erfreulichen Überraschung auf. Für seine Verdienste um das thüringische Archivwesen erhielt Herr Dr. Reinhold Brunner, langjähriger Leiter des Stadtarchivs Eisenach, eine Ehrung in Form eines einmaligen zweckgebundenen Sonderpreises in Höhe von 5.000 €. Damit wurde einer der erfahrensten und profiliertesten Archivare im Freistaat für sein bisheriges Lebenswerk gewürdigt.
Zum Abschluss des 62. Thüringischen Archivtags wurde es noch einmal sehr technisch. Zwei Anbieterfirmen demonstrierten ihre Softwarelösungen zur Elektronischen Archivierung. So konnte jeder mit eigenen Augen sehen, was ihn in naher Zukunft im Archiv unausweichlich erwartet.