65. Thüringischer Archivtag 2024

Bericht über den 65. Thüringischen Archivtag am 29./30. Mai 2024 in Weimar

von Dr. Jens-Jörg Riederer

Für den diesjährigen Archivtag griff der Vorstand des Landesverbands auf ein Thema zurück, das er bereits für 2019 vorbereitet hatte und das der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen war: Bestandserhaltung unter schwierigen Bedingungen. Angesichts der allgegenwärtigen Diskussion über Digitalisierung, E-Akte und Elektronische Langzeitarchivierung erschien diese Wahl fast ein wenig altmodisch. Aber die sehr gute Resonanz von 120 Teilnehmenden vor Ort, darunter auch aus benachbarten Bundesländern, sowie ein überaus positives Echo auf Social Media bestätigten die Richtigkeit der Entscheidung, das „klassische“ Archivthema doch nachzuholen. Noch überwiegt in den kleinen und kleinsten Archiven im Freistaat, die den Großteil unserer thüringischen Archivlandschaft ausmachen, bei weitem die analoge Überlieferung und ist z.T. akut gefährdet. Die Erhaltung der Aktenbestände gestaltet sich nämlich in den östlichen Bundesländern noch dramatischer, weil in der DDR auch die Papierqualität mit den Jahren stetig abnahm. Namentlich die Schriftstücke der späten DDR, die von besonderem historischen Interesse sind, drohen wie diese zu zerfallen.

Fehlende Finanzen sind auch hier das strapazierteste Argument, nichts gegen den steten Papierzerfall tun zu können. Aber es gibt auch jenseits des Geldes Möglichkeiten der Prävention. Für diese wirbt seit Jahren beharrlich Dr. Johannes Kistenich-Zerfaß, Leiter des Hessischen Staatsarchivs Marburg, der den ersten Vortrag hielt. Sein Credo: den Zerfall nicht dem Zufall überlassen. Damit aus der Bestandserhaltung kein „Fass ohne Boden“ wird, wie immer wieder beschworen, bedarf es einer transparenten Priorisierung und bewussten Planung, die schrittweise und effektiv zu realisieren ist. Es kann nicht alles gerettet werden, aber da Nichtstun zwangsläufig zu Kulturverlust führt, geht es um gezielte Maßnahmen, die die besten konservatorischen Effekte erzielen. Mit dem in den letzten Jahren gesteigerten Bewusstsein, dass auch Akten Kulturgut darstellen, stehen für Projekte zur Bestandserhaltung weit mehr Mittel als noch vor 15 Jahren zur Verfügung, die es nutzen gilt.

Direkt schloss sich die Präsentation von Dr. Ursula Hartwieg an, die die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes (KEK) an der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz aufgebaut hat und leitet. Die KEK hat sich seit ihrer Gründung 2010 enorm entwickelt und ist zur wichtigsten Geldgeberin der Archive für Bestandserhaltung geworden. Dafür gibt es zwei Hilfsprogramme, einmal die direkte Förderung von sog. Modellprojekten, mit einem notwendigen Eigenanteil von 50 % für die Antragsteller, sowie zweitens das Sonderprogramm der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), das über die Bundesländer abgewickelt wird, die ihrerseits durch eigene Mittel die Selbstbeteiligungsquote der Antragsteller unter diese 50 % senken können.

Wiederum direkt daran schloss sich der Vortrag von Volker Graupner vom Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar an, der die Thüringer „Richtlinie zur Förderung der Bestandserhaltung schriftlichen Kulturgutes“ vom 24.8.2022 (Thüringer Staatsanzeiger Nr. 38/2022, S. 1083-1085) vorstellte. Die Anträge für dieses Landesprogramm sind an das Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar zu stellen. Da die Zuwendungen des Landes auch als Co-Finanzierung zu Fördermitteln des Bundes gewährt werden, können kleine Archive, denen es an Mitteln fehlt, damit ihren Eigenanteil für ein bei der KEK beantragtes Projekt senken, in Ausnahmefällen auf 3 bis 5 %.

Obwohl die Antragstellung bei der KEK und beim Freistaat vergleichsweise unaufwändig ist, tun sich erfahrungsgemäß viele Archivkolleginnen und -kollegen damit schwer. Deshalb plant der Vorstand für das Frühjahr 2025 eine Fortbildung zum Thema Antragstellung, um die von Bund und Land bereitgestellten Mittel besser auszuschöpfen.

Dem wachsenden Wunsch nach archivpraktischen Tagungsanteilen trug der Vorstand im Anschluss mit Workshops an zwei Orten mit immerhin sechs Stationen Rechnung, was im Vorfeld einigen Aufwand für einen reibungslosen Ablauf erfordert hatte. In der Restaurierungswerkstatt des Goethe- und Schiller-Archivs zeigten Maria Günther und Susanne Busch verschiedene Verpackungsmaterialien und wie diese zu handhaben sind, um ihre Hauptfunktion, den mechanischen Schutz der Archivalien, optimal zu erfüllen.

Tanja Rötel, Restauratorin am Stadtarchiv Jena, zeigte eine Powerpoint-Präsentation zum pfleglichen Umgang mit Archivalien im Alltag. Jana Moczarski vom Verband Deutscher Restauratoren präsentierte in gleichem Format Grundlagen über den Umgang mit Schimmel als eine Bedrohung nicht nur für unsere Archivalien, sondern auch für unsere Gesundheit. Sie beschrieb Ursachen für den Schimmelbefall, seine Wachstumsbedingungen und natürlich Maßnahmen zur Bekämpfung wie auch zur Prävention. Die Gesamtleitung für die Workshops, deren alltagspraktische Ausrichtung großen Anklang fand, lag in den Händen von Dr. Gabriele Klunkert vom Goethe- und Schiller-Archiv Weimar.

In der großen Restaurierungswerkstatt des Landesarchivs Thüringen fanden ebenfalls drei Stationen Platz. Judith Mielke und Anna Kleeberger stellten typische Schadensbilder von Akten vor: Verschmutzung, Tintenfraß, mechanische Beschädigungen durch Lochung und Klammern sowie Wasserschäden; dazu Bruchschäden an Wachssiegeln, Lichtschäden an Fotoglasplatten u. a. m. Bei Brigitte Arenhövel und Lydia Schröder konnten die Archivarinnen und Archivare für einfache konservatorische Maßnahmen an Akten selbst Hand anlegen: „Entmetallisieren“, Reinigen und kleinere Risse mit Heißsiegelpapier schließen. Dieses „Selbermachen“ habe bei den Teilnehmenden regelrecht Begeisterung ausgelöst.

Die dritte Station von Magdalena Izdebska und Ronny Oschwald galt wieder dem leidigen Thema Schimmel, wobei u. a. ein vielbestauntes Testgerät zur Messung der Sporenbelastung vorgeführt wurde. Den ersten Tag beschlossen Führungen durch die sehenswerten Magazine der beiden genannten Archive sowie ein geselliger Abend im Restaurant.

Den zweiten Tag eröffneten die Mitgliederversammlungen der Arbeitsgemeinschaft der Kommunalarchive sowie des Landesverbandes Thüringen im VdA. Auf letzterer, leider nicht sonderlich gut besucht, wurden einstimmig PD Stefan Gerber (Universitätsarchiv Jena) und Susann Martina Hurtig (Kreisarchiv Wartburgkreis) in den Vorstand hinzugewählt als Ersatz für zwei ausgeschiedene Kolleginnen, darunter Dr. Katja Deinhardt (Landesarchiv Thüringen), der für ihr großes Engagement und ihre maßgebliche Beteiligung an der Organisation auch dieses Archivtages herzlich zu danken war.

In der anschließenden Aktuellen Stunde ging es um mögliche Anforderungen an die Archivberatungsstelle, wobei einmal mehr Hilfestellungen bei der Bestandserhaltung, bei Um- und Neubauten von Archiven sowie bei der elektronischen Langzeitarchivierung erbeten wurden. Den letzten Punkt nahm Christine Träger auf, die Projektleiterin Digitales Magazin am Landesarchiv Thüringen. Sie informierte darüber, dass das Landesarchiv im Oktober 2023 dem DIMAG-Verbund beigetreten sei und mit den Bundesländern Hessen und Niedersachsen einen Unterverbund zur Nutzung dieser inzwischen weit verbreiteten Software für ein Digitales Magazin (DIMAG) bilde. Als Mitglied in drei Fachgruppen zur Weiterentwicklung von DIMAG erarbeitet das Landesarchiv mehrere Module, z. B. für die Übernahme von E-Akten, ihre Benutzung und Bestandserhaltung. Mit dem wichtigen Hinweis, dass auch sog. born digitals langfristig von Verfall bedroht sind und Erhaltungsmaßnahmen bedürfen, war ein direkter Bogen zum Thema des Archivtages geschlagen. Die mit Hessen und Niedersachen abgeschlossene Vereinbarung erlaubt die Weitergabe von DIMAG an nichtstaatliche Archive, die sich auch in die Facharbeitsgruppen einbringen können. Die Konditionen für einen Beitritt zum DIMAG-Verbund, der nicht für einzelne Archive möglich ist, sondern nur für Archivverbünde, werden noch erarbeitet. Das Landesarchiv stellt über GitHub Open-source-Software zum Download zur Verfügung (https://github.com/Lasndesarchiv-Thueringen). Das Angebot, das allen Archiven offensteht, umfasst neben dem Xdomea-Aussonderungsmanager auch „Borg“, ein Programm zur Formaterkennung und -validierung.

Die Inbetriebnahme von DIMAG durch das Landesarchiv ist für Anfang 2026 geplant. Die Zeit bis dahin, so wurde in der anschließenden Diskussion betont, müssen die nichtstaatlichen Archive sich in ihren Sparten eigene „Roadmaps“ zum Anschluss an DIMAG erarbeiten, wobei als Kernfrage die nach dem Speicherort in einem Rechenzentrum zu klären ist.

Jana Moczarski, die bereits dankenswerterweise den Workshop über Schimmel bestritten hatte, weitete in einem Vortrag ihr Thema aus, in dem sie vorführte, wie man sich mittels E-Learning über das Internet nötiges Wissen über Bestandserhaltung aneignen kann.

In der abschließenden Sitzung berichteten einige Kolleginnen und Kollegen über erfolgreiche Bestandserhaltungsprojekte aus ihren Archiven.