VdA-Ältere Nachrichten

VdA - 03.11.2011

Conference international de la table ronde des archives (CITRA) in Toledo

Karl von Habsburg als Präsident der Association of National Committees of the Blue Shield berichtete am 27. Oktober 2011 über die Zielsetzungen und Möglichkeiten der Organisation zum Schutz von Kulturgut. Am Podium (v.l.n.r.): Peter Blum (Stadtarchiv Heidelberg), Masaya Takayama (Nationalarchiv Japan), Jean-Wilfried Bertrand (Nationalarchiv Haiti), Bettina Schmidt-Czaia (Stadtarchiv Köln), Danièle Neirinck (Präsidentin der französischen Sektion der Hilfsorganisation Archives without borders).

In alphabetischer Reihenfolge nahmen die von den National- und Staatsarchiven sowie den Berufsverbänden zur CITRA entsandten Delegierten am 28. Oktober 2011 zur Generalversammlung im Auditorium des Kongresszentrums des Hotels Beatriz in Toledo Platz.

Fulda / Toledo (bp). Unter dem Titel Keeping Archives Alive in a Digital World. Archival Preservation in the 21st Century fand vom 25. bis 28. Oktober 2011 die “Conference international de la table ronde des archives“ (CITRA) in Toledo (Spanien) statt. Der Bogen war weit gespannt von den neuen Herausforderungen an die Archive angesichts des sprunghaften Anstiegs digitaler Daten in den Verwaltungen bis hin zur Sicherung und Bewahrung des analogen Archivguts.

Wie der Leiter der niederländischen Archivverwaltung und Präsident des ICA Martin Berendse berichtete, ist man auch in seinem Heimatland noch nicht am Ende des Weges, Ministerien und Landesbehörden auf gesetzlicher Basis zu einer einheitlichen Strategie bei der Produktion, Verwaltung und Abgabe elektronischer Daten an die Archive zu verpflichten. Immerhin existiert inzwischen eine koordinierende Vereinbarung zwischen dem Innen- und dem Kultusministerium, auf deren Grundlage ca. 5 – 10 Prozent der in der Landesverwaltung anfallenden Daten in die Archive wandern werden. Weiter ist Kanada, das bereits seit 2009 ein Gesetz hat, in dem für Behörden und Archive Richtlinien zu Archivierung der Daten festgelegt sind. Da die Umsetzung durch die Archive alleine technisch nicht mehr zu bewältigen wäre, erfolgte ein organisatorischer Zusammenschluss mit den Bibliotheken zu einer E-Information-Agency. Den Archiven fällt dabei nach wie vor die Aufgabe zu, die Kriterien zu definieren, nach denen das politische und kulturelle Leben der Nation zu dokumentieren ist.

David Bearman, eine kritischer Philosoph unter den mit elektronischen Archivierungsfragen Befassten, stellte es allerdings grundsätzlich in Frage, ob die heutige Server-Architektur überhaupt geeignet ist, Gesellschaft und Verwaltung zu dokumentieren. Während man immer noch versuche, die elektronische Akte wie ihre analogen Vorgänger abzubilden, haben die neuen Genres der Kommunikation bereits ganz andere Bedingungen geschaffen. In Zeiten von sozialen Netzwerken kann seiner Meinung nach auf traditionellem Wege die Gesellschaft nicht mehr adäquat abgebildet werden. Vertreter aus dem arabischen Raum bestätigten mit Blick auf die dortigen Ereignisse, dass die revolutionären Ereignisse zu einem erheblichen Teil über facebook und Twitter dokumentiert worden sind und damit ein Stückweit die von den Diktaturen vor Toresschluss vernichteten Akten ersetzen. Dabei weiß man allerdings noch kaum etwas über das Wirkungsverhältnis zwischen dem Sender und dem/den Empfänger/n der Nachrichten.

Der Umgang mit Naturkatastrophen und Unglücksfällen bildeten einen weiteren Schwerpunkt. So furchtbar der Einsturz des Stadtarchivs Köln war, relativiert sich dies doch im Vergleich mit den Verlusten an Menschenleben und Kulturgut, welche die Katastrophen in Haiti und Japan forderten. Neben Naturkatastrophen und technischen Unzulänglichkeiten tritt zunehmend eine weitere Gefahr. Bei den „traditionellen“ Kriegen zwischen Nationalstaaten war den Kriegsparteien in der Regel daran gelegen, das Kulturgut und die Archive des Gegners möglicht unversehrt in die Hand zu bekommen. Bei den zunehmend ethnisch und religiös begründeten Konflikten ist es hingegen häufig das Ziel, die die kulturelle Identität des Gegners zu vernichten, wie Karl von Habsburg als Präsident der nationalen Komitees von Blue Shield unterstrich. Das Bekannteste Beispiel ist die Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban im Jahr 2001. Der Titel der Sitzung „Lessons learned von Cologne, towards greater co-operation“ kann gleichzeitig als ihr Résumé verstanden werden: Erfahrungsaustausch zur Krisenprävention und Bewältigung sowie gegenseitige Hilfe – archivische Solidarität auch grenzüberschreitend – ist unverzichtbar und muss weiter ausgebaut werden.

Völlig unterschiedliche Ansätze werden nach wie vor bei der Sicherung von Archivgut auf Ersatzmedien beschritten. Während man in Kuba inzwischen völlig auf die Digitalisierung trotz der damit verbundenen Problemen und Risiken setzt, beschreitet Russland den komplexeren Weg wie ihn auch die meisten Staatsarchive in Deutschland verfolgen. Es werden alterungsbeständige Sicherungsfilme als Dauerspeichermedium gefertigt, die als Grundlage für Digitalisate als Nutzungsmedium dienen.

Hauptthema der Generalversammlung der Mitglieder des ICA war die Ablösung der CITRA durch einen für alle Archive offenen Kongress. In den Anfängen des ICA konnten in den 1950er Jahren konnten sich die Vertreter der Nationalarchive tatsächlich noch in Paris um einen runden Tisch versammeln. Heute gilt es, die Konferenz auf die Anforderungen der unterschiedlichsten Archive aus aller Welt auszurichten. Durch eine Änderung der Geschäftsordnung ist vorgesehen, an die Stelle der CITRA künftig eine jährliche Fachkonferenz zu stellen, die grundsätzlich allen Archivgattungen zugänglich ist. Diese Konferenz soll künftig aus den drei Hauptteilen bestehen: Verwaltungsfragen des ICA, Fortbildungsprogramme sowie einem Forum der Nationalarchive. Eine entsprechende Änderung der Geschäftsordnung wurde vorgestellt.

Die kommende Versammlung des ICA in Brisbane (Australien) im August 2012 wird weiterhin über eine Änderung der Beitragszahlung ab 2016 beschließen. Zugrunde gelegt werden soll künftig ein Schlüssel aus der Bevölkerungszahl der Mitgliedsstaaten in Verbindung mit der von der Weltbank festgestellten Kennziffer der jeweiligen Wirtschaftskraft.